Hamburg bei Nacht

Wie wir die Nacht zum Tag machen

In den 1970er Jahren warb die damalige Bundesbahn für ihre Nachtzüge mit einem Slogan, den heute noch viele kennen: „Alles schläft. Einer fährt.“ Und abgebildet war ein Zug, der einsam durch die dunkle Nacht rast. Auch heute stehen bei der Bahn die Räder niemals still.

Unser Lokführer Gordon Doyen zeigt Ihnen, wie wir die Nacht zum Tag machen:

Hallo liebe nordbahn-Fahrgäste!

Nachts im Bahnhof Hamburg-Altona. Um 0:57 Uhr erreicht die RB 71 aus Wrist die Millionenstadt. Meine Kollegin Jannike, die den Zug fährt, hat wenig Zeit, denn schon um 1:07 Uhr wird sie die letzte nordbahn in dieser Nacht wieder Richtung Wrist starten. Jannike liebt diese Nachtschichten: „Um diese Zeit sind wir nahezu die einzigen, die noch unterwegs sind. Die Strecken sind frei, wir können pünktlich fahren und alles ist viel entspannter“, so die junge Lokführerin.

Wenige Minuten zuvor habe ich in Hamburg-Altona einen anderen Zug auf ein Abstellgleis rangiert. Nebenan stehen bereits zahlreiche weitere nordbahn- Züge. Sie sind hell erleuchtet, denn das Reinigungs-Team ist im Einsatz und bringt unsere Züge wieder auf Hochglanz. Während die Kollegen den Zug pflegen, kümmere ich mich um den Abschlussdienst, der an jedem Zug mindestens alle 24 Stunden durchgeführt werden muss. Die Leittechnik des Zuges wird dabei vollständig heruntergefahren, so wie Sie es vielleicht von Ihrem Computer oder Ihrem Smartphone kennen, denn unsere Züge sind rollende High-Tech-Computer. Beim Kontrollgang rund um den Zug leuchte ich mit der Handlampe in jede kleine Ritze, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung ist. Telefonisch melde ich die wichtigsten Daten des Zuges – wie Kilometerstand und Füllstand der Toiletten – an unsere Leitstelle im Hamburger Stadtteil Hammerbrook.

Dort hat mein Kollege Marco Nachtdienst. Alle paar Minuten nimmt er Telefonate an, denn viele Kollegen rüsten um diese Zeit ihre Züge ab und melden deren Daten in die Zentrale. Und auch, wenn es draußen längst dunkel ist, herrscht in der Leitstelle Tagesgeschäft, denn auch jetzt müssen Züge und Lokführer disponiert und muss auf Störungen reagiert werden. Und während Marco noch eine lange Nacht vor sich hat, freue ich mich auf den Feierabend und fahre nach Hause, wo mein Hund schon sehnsüchtig wartet. Es ist 1:30 Uhr.

Um genau diese Zeit klingelt der Wecker bei meinem Kollegen Christian. Eine ausgiebige Dusche macht ihn wach, er kocht Kaffee und macht sich auf den Weg zur Frühschicht – um 2:20 Uhr ist Dienstbeginn. Seine erste Amtshandlung ist ein gründlicher Rundum-Check des Zuges, bei dem alle Systeme geprüft werden, so wie jeden Morgen in jedem nordbahn-Zug.

Kurz vorher hat Jannike ihr Ziel Wrist erreicht. Es sind kaum noch Fahrgäste an Bord. Um genau 1:59 Uhr rangiert sie auf das Abstellgleis. Die Reinigungskräfte entern ihren Zug.

Um kurz nach drei Uhr – Jannike macht in Wrist ihre nächtliche Mittagspause, während der Wachdienst hier wie überall darauf achtet, dass sich keine Graffiti-Straftäter an den Zügen austoben – ist Christian mit der Vorbereitung seines Zuges in Hamburg-Altona fertig und rollt an den Bahnsteig, wo die ersten Pendler warten – Abfahrt 3:30 Uhr ab Hamburg-Altona.

Um diese Zeit hat Matthias, nordbahn-Lokführer in Itzehoe, die Hälfte seiner Nachtschicht rum. Er ist damit beschäftigt, bei den Zügen, die in Itzehoe übernachten, alle vorgeschriebenen Sicherheitschecks durchzuführen, damit sie die nächsten 24 Stunden sicher fahren können. Auch einige Kilometer nordöstlich, in Neumünster im Netz Nord der nordbahn, wird die Nacht zum Tage gemacht, denn auch die Dieseltriebwagen vom Typ LINT41 werden jede Nacht gereinigt, gewartet und geprüft.

4 Uhr. In Wrist stellt Jannike ihren Zug am Bahnsteig bereit, denn um 4:18 Uhr beginnt dort die erste Fahrt nach Hamburg-Altona. Sie wird danach noch einmal nach Elmshorn und zurück nach Altona fahren und um 6:30 Uhr in den Feierabend gehen. Ihren Zug übernimmt eine andere Kollegin, Dienstbeginn 6:37 Uhr. In Itzehoe hat Matthias Feierabend und dort, wie auch in Neumünster, rollen längst wieder die ersten Züge des Tages. Um 7 Uhr wird Marco, unser Disponent, sein Übergabegespräch mit den Kollegen von der ersten Tagschicht führen und nach Hause fahren.

Und ich? Ich schlafe, bis mich irgendwann am Vormittag mein Hund wecken wird. Ich habe viel Zeit, denn meine Spätschicht beginnt erst gegen 16 Uhr. Nächste Woche tauschen wir alle dann die Rollen. Aber unsere Züge, die schlafen nie, denn wir machen jede Nacht zum Tag.

Ihnen eine gute Fahrt, zu jeder Tages- und Nachtzeit!

Ihr Lokführer Gordon