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Wirklich ein Container im Gleis?

Was wir bei der nordbahn tun, damit unsere Lokführerinnen und Lokführer auch in Ausnahmesituationen ruhig und sicher handeln können, erklärt dir Gordon. Er fährt seit 2014 unsere Züge zwischen Itzehoe/Wrist und Hamburg.

Hallo liebe nordbahn-Fahrgäste!

Es gibt Tage im Leben eines Lokführers oder einer Lokführerin, an denen weiß man schon vor Dienstbeginn, dass es ein Tag voller Zwischenfälle werden wird. Heute ist solch ein Tag.

Dabei beginnt alles routinemäßig. Den Führerstand aufrüsten, alle Systeme hochfahren und den Sitz bequem einstellen. Den Fahrplan für die anstehende Zugfahrt auf den Monitor laden und den obligatorischen Blick in die tagesaktuelle Übersicht über Baustellen und andere Besonderheiten an der Strecke werfen. Das Signal vor mir geht pünktlich zur Abfahrtszeit auf grün, also „Fahrt!“ und es kann losgehen. Ich fahre an – aber es zischt sofort und mein Zug kommt ruckartig zum Stehen. Zwangsbremsung am Signal! Aber das Signal war grün! Wirklich...? Ein Griff zum Telefon, Anruf beim Fahrdienstleiter im Stellwerk. Ich schildere ihm die Situation und er bestätigt mir, dass alles in Ordnung sei, da sei eine Störung am Signal und ich könne weiterfahren. Aber ganz so einfach ist das nicht, in diesem Fall benötige ich eine schriftliche, von ihm diktierte Genehmigung, die ich in ein Formblatt eintrage. Sein mündliches Okay genügt nicht!

Richtig was los auf der Strecke
Es dauert nicht lange, da ruft mich das nächste Stellwerk an: Ein Bahnübergang ist gestört. Das übliche Prozedere beginnt, um den Bahnübergang dennoch sicher befahren zu können, aber das kostet wieder viel Zeit. Nach ein paar Minuten kann es weitergehen, aber die Freude währt nur kurz, denn im Gegengleis liegt ein Container – mitten auf den Schienen! Ich reiße die Bremse durch, maximale Bremskraft! Aber mein Zug benötigt dennoch einige hundert Meter bis zum Stillstand. Sofort drücke ich die Notruftaste, damit alle Lokführerinnen und Lokführer und alle Stellwerke im näheren Bereich meinen Alarm hören: „Betriebsgefahr! Alle Züge sofort anhalten!“

Virtuelles Training im Simulator
Als Fahrgast sind Sie einige Störungen und Verzögerungen auf unseren Strecken gewohnt, aber den Container im Gleis kaufen Sie mir nicht ab? Sie liegen richtig. Denn diese Zugfahrt findet nicht wirklich statt, sondern rein virtuell – im Simulator. Mindestens alle zwei Jahre müssen Lokführerinnen und Lokführer in Deutschland ein solches Simulatortraining absolvieren. Dabei werden Situationen durchgespielt, die nicht sehr oft vorkommen. Die muss zwar jeder beherrschen, der Züge fährt, aber Hand aufs Herz: Nach vielen Jahren vergisst man manches oder ist unsicher und eben deswegen trainieren wir sie regelmäßig. Der Simulator ist ein Koloss, er hat das Maß eines sehr großen Wohnwagens und ist mit Hightech ausgestattet. Der Führerstand ist eine 1:1-Nachbildung des Cockpits eines modernen Elektrotriebwagens und man blickt auf einen riesigen Monitor, auf dem die virtuelle Strecke und Landschaft vorüberziehen. Im anderen Teil des Simulators befindet sich die „Schaltzentrale“ des Trainers. Von hier aus kann er alle möglichen Strecken, Signale und Besonderheiten einspielen und damit die virtuellen Situationen erschaffen, die wir im nachgebildeten Führerstand meistern müssen. Der Trainer beobachtet von hier aus auch unser Verhalten. Unsere Bedienhandlungen werden ebenso aufgezeichnet wie „gefahrene“ Geschwindigkeiten. Darüber hinaus sind im Führerstand des Simulators auch Kameras installiert, damit der Trainer auf seinen Bildschirmen sehen kann, ob wir zum Beispiel die richtigen Handgriffe praktizieren oder die telefonischen Anweisungen vom „Stellwerk“, also vom Trainer, korrekt aufschreiben.
 


Ausbildungslokführer Wolfgang Powelz betreut das Simulator-Training

Und es gibt verdammt viele Herausforderungen bei einem solchen Simulatortraining, das jeweils einige Stunden dauert. Meine Kolleginnen und Kollegen aus unserem Netz Nord mit den Strecken Neumünster–Heide–Büsum und Neumünster–Bad Oldesloe zum Beispiel sind auf eingleisigen Nebenbahnen unterwegs – dort gibt es keine Fahrten im Gegengleis, also quasi auf dem „falschen Gleis“. Dennoch beherrschen auch sie alle Besonderheiten solcher Gegengleisfahrten und trainieren sie dafür regelmäßig im Simulator. Ich hingegen fahre auf zweigleisigen Hauptstrecken in unserem Netz Mitte, also von Hamburg nach Itzehoe und Wrist und in meinem Alltag kommen keine Bahnübergänge ohne Schranken oder sonstige typischen Situationen einer Nebenbahn vor. Um die dort geltenden Vorschriften immer wieder aufzufrischen, brauchen meine Kolleginnen und Kollegen und ich ebenfalls den Simulator.


Im Training konzentriert bei der Sache.

Keine Spielerei
Was nach einem spannenden Videospiel klingt, ist tatsächlich harte Arbeit. Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Kaum jemand von uns freut sich auf diese Trainings, denn wer mag schon Prüfungen und Überwachungen? Im Minutentakt geschehen in diesen Simulatorfahrten Zwischenfälle, Abweichungen von der Regel und Situationen, die in der Realität selten vorkommen – aber sie alle müssen beherrscht werden, jede Vorschrift muss sitzen und aus dem Kopf abgerufen werden können. Das ist anstrengend und Schweiß treibend. Aber es dient der Sicherheit und hilft uns, auch im Alltag in ungewöhnlichen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Und gibt uns Lokführerinnen und Lokführern damit die Gewissheit, an allen Tagen mit allen Herausforderungen souverän umgehen zu können – und Sie sicher an Ihr Ziel zu bringen.

Ihnen eine gute Fahrt und bis zum nächsten Mal!

Ihr Lokführer Gordon

Fotos: nordbahn/G. Doyen