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Zwei Helle für den Lokführer!

Gordon ist seit 2014 einer unserer Lokführer und zwischen Hamburg und Itzehoe/Wrist unterwegs.

Hallo liebe nordbahn-Fahrgäste!
Wir Lokführerinnen und Lokführer werden immer wieder einmal gefragt, wie unser Beruf eigentlich so ist. Ob es stimmt, dass der Zug von alleine fährt und wir nur manchmal ein paar Knöpfe drücken müssen. Ob wir da vorne alleine sind oder woher wir wissen, auf welches Gleis wir fahren müssen. Ich lade Sie daher ein, mich in dieser Folge auf einem typische Arbeitstag zu begleiten. Und dafür dürfen Sie sogar ausnahmsweise mit nach vorne ins Cockpit. Haben Sie Lust? Dann steigen Sie ein und folgen Sie mir!

Es ist noch dunkel,
als ich in der S-Bahn nach Hamburg-Altona sitze, meiner Einsatzstelle. Frühschicht. Ich nutze die Zeit, um mein Diensthandy zu starten. Der erste Blick geht in unsere nordbahn-App, denn dort finde ich alle Details zu meinem heutigen Dienst sowie die Angabe, welches Fahrzeug ich heute fahren soll und auf welchem Abstellgleis es steht. Eine Notiz ploppt auf: „Bitte in der Leitstelle melden!“

„Leitstelle, Frrrrank hier!“,
tönt es fröhlich aus dem Lautsprecher. Auch zu dieser noch nachtschlafenden Zeit ist der Kollege hellwach. Unser Disponent erzählt mir, dass es in der Nacht eine Umplanung gab und ich meinen Zug heute nicht technisch durchchecken muss, sondern er bereits einsatzbereit ist. Prima, weniger Arbeit! Ich kann mir also etwas mehr Zeit lassen, streife mir die Warnweste über und begebe mich zum Abstellgleis, auf dem mein Zug auf mich wartet. Um kurz vor 5 rufe ich das Stellwerk an:

„Altona!“, meldet sich die Fahrdienstleiterin.
„Moin! Ich bin auf Gleis 455 bereit für die Rangierfahrt an den Bahnsteig, wird die Zugnummer 83852!“ „Du bist auf 455 fertig für den 83852 heute aus Gleis 8, alles klar. Ich lasse noch einen ICE aus Gleis 10 ausfahren und danach mache ich dir zwei Helle!“

Nein, es gibt nicht zwei Biere zum Frühstück.
„Zwei Helle“ ist typischer Eisenbahn-Slang. Die Kollegin im Stellwerk meint damit, mir per Signal die Erlaubnis zu erteilen, an den Bahnsteig zu rangieren. Das Signal zeigt dann zwei weiße Lichter und offiziell heißt es „Sh1“ und natürlich nicht „zwei Helle“. Aber wenn der Chef nicht mithört...

5 Uhr am Bahnsteig, Gleis 8, Hamburg-Altona.
Auf einem kleinen Eingabegerät habe ich die Zugnummer 83852 eingetippt und nun steht auf allen Anzeigen meines Zuges das Ziel „Itzehoe“. Um 5:14 Uhr soll es los gehen und schon ein paar Minuten früher sehe ich, wie vor mir die Signale von rot, „Halt!“ auf gelb-grün,

„Langsamfahrt!“ umspringen. Die Fahrdienstleiterin im Stellwerk ist auf Zack! Pünktlich um 5:14 Uhr schließe ich per Knopfdruck die Türen und fahre ab. Unser Weg führt zunächst durch viele Weichen und darum darf ich hier nur 40 km/h fahren, eben „Langsamfahrt“. Auf einem Monitor im Führerstand sehe ich alle Angaben zur Strecke. Metergenau sind dort alle Signale der Strecke aufgeführt und Angaben zur zulässigen Geschwindigkeit. Nach 1,7 Kilometern darf ich auf 70 beschleunigen, kurz danach auf 80, dann auf 120 und schließlich auf 160 km/h, unsere Höchstgeschwindigkeit. Anders als auf der Straße, wo es die wenigsten sehr genau nehmen, gilt bei der Bahn: Kein km/h zu viel, niemals! Denn das Gerücht, dass unsere Züge von alleine fahren und wir nur ein paar Knöpfchen drücken, stimmt nicht. Wir müssen jederzeit hochkonzentriert die Strecke beobachten, das Tempo im Griff haben und alle dreißig Sekunden ein Fußpedal kurz loslassen um zu zeigen, dass wir noch wach und aufmerksam sind. Und dann sind da natürlich die Signale. Jede Strecke ist in Abschnitte unterteilt, die durch Signale begrenzt sind. Nur, wenn der nächste Abschnitt frei ist, kann das Signal davor auf grün, „Fahrt!“, gestellt werden. Zeigt es hingegen „Halt!“ oder muss die Geschwindigkeit reduziert werden, bleiben nur Sekunden, um zu reagieren. Denn stellen Sie sich einmal vor, welche Wucht so ein Zug bei voller Geschwindigkeit hat und wie lang der Bremsweg ist!

Heute früh läuft alles rund,
die Strecke vor mir ist offenbar frei und alle Signale zeigen Grün. Kurz vor Pinneberg, dem ersten Halt, sehe ich das Signal „Langsamfahrt erwarten!“ auftauchen, ein gelbes und ein grünes Licht und darüber leuchtet eine gelbe „8“ - ein sogenanntes Vorsignal. Denn angesichts der langen Bremswege wird jedes Signal mit einem Vorsignal angekündigt, so dass wir im Führerstand Zeit zum Reagieren haben. Hier sagt mir das Signal: Innerhalb von 23 Sekunden auf mindestens 80 km/h abbremsen und mit maximal 80 in den Bahnhof Pinneberg einfahren. Auf welches Gleis es geht, an welchen Bahnsteig, das entscheide nicht ich, sondern die Fahrdienstleiterinnen und -leiter in den Stellwerken der einzelnen Bahnhöfe. Von dort werden die Weichen entsprechend gestellt und auch die Signale. Nach dem kurzen Halt am Bahnsteig leuchtet es vor mir schon wieder grün, ich darf also weiter und aus dem Bahnhof Pinneberg ausfahren.

So geht es bis Elmshorn.
Dort biegen wir links ab und fahren durch die Elbmarsch. Hier wird es ruhiger, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt nur noch 120 km/h und nach einer knappen Stunde erreiche ich pünktlich das Ziel Itzehoe. Eine Stunde habe ich Pause, bevor es zurückgeht. Ich wechsele auf den anderen Führerstand, mache die üblichen Bremsprüfungen, hole mir einen Kaffee und lese Nachrichten. Dann geht es wieder los, zunächst bis Elmshorn. Dort wartet am Bahnsteig bereits der Zug aus Wrist, mit dem ich kuppeln soll. Auch hier zeigen die Signale genau an, was zu tun ist: Mit maximal 20 km/h an den Bahnsteig fahren, vor dem Ankuppeln anhalten und dann mit einem km/h auf den vorderen Zugteil auffahren. Das Kuppeln erledigen unsere Züge automatisch. Die Kollegin vorne fährt nun weiter bis Hamburg-Altona und wird mich dort wieder per Knopfdruck abkuppeln.

Von dort aus geht es für mich als Leerfahrt, also ohne Fahrgäste, einmal durch die Stadt in unsere Werkstatt im Stadtteil Tiefstack. Ich gehe durch meinen Zug und schaue, ob auch wirklich alle Gäste ausgestiegen sind. Wieder Bremsprüfung, wieder die Zugdaten im Zugfunkgerät eingeben und über eine Kurzwahlnummer teile ich dem Stellwerk Altona mit, dass ich abfahrbereit bin.


„Ihre Zugvorbereitungsmeldung wird jetzt bearbeitet“,
quäkt es aus dem Lautsprecher – die Bestätigung, dass das Stellwerk meine Mitteilung erhalten hat. Und schon kurz darauf springt das Signal vor mir um – es läuft heute Morgen! Vor mir liegt nun eine der, wie ich finde, schönsten Bahnstrecken Deutschlands. Es geht vorbei am neuen Stadtteil Neue Mitte Altona, durch das lebendige Schanzenviertel und über die Brücke, die die Hamburger Binnen- und Außenalster trennt – wunderbare Ausblicke inklusive! Aber allzu lange sollte man den Blick nicht riskieren, denn diese Strecke ist nicht nur schön, sondern auch sehr anspruchsvoll. Signale stehen im dichten Abstand, die Bremswege sind extrem kurz, nahezu immer reiht sich Zug an Zug und es ist höchste Aufmerksamkeit gefordert. Das gilt auch im Hamburger Hauptbahnhof, den ich nun ohne Halt durchfahre. Ein Wirrwarr von Gleisen und Signalen und wehe, man verguckt sich und übersieht ein Haltesignal! Dann führt der Weg über Brücken über Hafenbecken und an der Hamburger Hafencity vorbei und nach wenigen Minuten ist der Güterbahnhof Hamburg-Rothenburgsort erreicht. Dort zweigt das Gleis in die nordbahn-Werkstatt ab.

Unsere Leitstelle erteilt mir telefonisch die Genehmigung zur Einfahrt.
Hier soll der Zug nun gereinigt werden, die WC werden abgepumpt und Frischwasser wird aufgefüllt. Dafür muss ich zentimetergenau anhalten, aber Alfred, der für die Ver- und Entsorgung zuständige Kollege, brüllt rechtzeitig „Haaalt“ – auch ein Signal und eines, das man garantiert nicht verfehlen kann! Für mich endet diese kurze Frühschicht nun schon wieder und die Kolleginnen und Kollegen der Hamburger S-Bahn bringen mich nach Hause. Morgen wird die Schicht ganz anders sein, dann werde ich drei Mal Hamburg-Altona – Wrist und zurück fahren. Routine. Aber wer weiß, vielleicht ruft ja wieder die Leitstelle an: „Hallo Gordon, Frrrrank hier, es gibt eine Änderung!“ Denn bei der Bahn ist kaum ein Tag wie der andere. Aber das kennen Sie als unser Fahrgast ja auch!

Ihnen eine gute Fahrt! Ihr Lokführer Gordon

Text: Gordon Doyen
Fotos: © Peter Lühr

2 Kommentare
Gordon Doyen
#2 — vor 1022 Tagen
Hallo Sebastian, danke Dir! Klar läuft nicht immer alles rund, aber wir alle hier geben unser Bestes und freuen uns sehr über Deine Anerkennung. Bis bald in einem unserer Züge!
Sebastian E.
#1 — vor 1023 Tagen
Danke für diese tolle Schilderung! Und danke für alle bei der Nordbahn für ihre tolle Arbeit, von denen auf und an der Strecke, an den Zügen bis hin zu denen, die uns immer auf dem Laufenden halten bei Störungen! Das können sich viele andere Betriebe im Norden mal als Vorbild nehmen!