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Elektrisch ohne Oberleitung, so geht das.

Man kann hunderte Kilometer Bahnstrecke mit ein paar Inseln elektrifizieren.

E-Mobilität ist auf dem Vormarsch. In Deutschlands Kfz-Zulassungsstellen werden inzwischen monatlich mehr Batterieautos angemeldet als Diesel. Die Elektrifizierung auf der Schiene stockt hingegen. Das galt vor allem für das Flächenland Schleswig-Holstein. Denn auf den längeren und relativ gering nachgefragten Dieselsstrecken war die hohe Investition in Oberleitungen bisher keine Option. Als weltweit erste Region führt der Norden nun Akku-Züge in einem Linienverkehrsnetz ein. Er macht damit vor, wie man in kürzester Zeit auf emmissionsarmen Schienenverkehr umsattelt – ohne dafür Fahrdraht kreuz und quer durchs ganze Land zu spannen.

Doch wie genau funktioniert Elektromobilität „ohne Oberleitung“? Ein paar interessante Hintergründe haben wir hier für euch zusammengetragen.

Groß denken – Das Akku-Netz Schleswig-Holstein sprengt Superlative
Mit 10,4 Millionen Zug-Kilometern (Summe der Fahrstrecke aller Zugfahrten pro Jahr) und elf Bahnlinien umfassen die Akku-Netze rund 40 Prozent des Bahnverkehrs in Schleswig-Holstein. Mit diesem Leistungsumfang war das sogenannte Akku-Netz Schleswig-Holstein (ANSH) die größte Streckenausschreibung in der Geschichte des Landes.

Damit verbannt der Norden auf einen Schlag den Diesel auf 480 Schienenkilometer zwischen den Meeren und macht seinen Bahnverkehr dann insgesamt zu fast 70 Prozent e-mobil.

Auch wenn beim ANSH zu Recht von einer revolutionär schnellen Form der Elektrifizierung gesprochen wird, liegt eine lange Vorbereitungszeit hinter uns. Die Planungen bei der NAH.SH begannen rund 8 Jahre vor dem Betriebsstart der nordbahn mit der vorgelagerten Ausschreibung der Fahrzeugtechnologie. Alle Infos zum Projekt finden sich hier bei der NAH.SH.

Die Akkus und wie sie Power bekommen
Insgesamt sind an jedem Fahrzeug des Typs „FLIRT Akku“ vier Akkus verbaut. Zwei davon auf dem Dach und zwei unterhalb des Zuges. Bei voller Aufladung schaffen die Züge mindestens 80 Kilometer Strecke, bevor sie wieder laden müssen.

Die Aufladung geschieht über einen Stromabnehmer – fachsprachlich Pantograph – entweder beim Halt im Bahnhof unter der dortigen Oberleitung oder auch während der Fahrt mittels kleiner Oberleitungsanlagen (sogenannter „Inseln“, s.u.) sowie längerer Oberleitungsabschnitte. Zudem wird es möglich sein, die Akkus in ihren Abstellungen an Ladesäulen zu laden.

Oberleitungsinseln – Inselhopping für Züge
Der Clou von Akku-Zügen ist die Einsparung hunderter Kilometer von Oberleitungen. Zur Stromversorgung genügt hier eine sogenannte Teil- und Ergänzungselektrifizierung des Netzes. Oberleitungsinseln sind kurze Abschnitte von Oberleitungen, die nicht in ein größeres Netz von Oberleitungen integriert sind. Jede Insel besitzt dafür ein eigenes Ladeunterwerk.

Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Oberleitungen beziehen die Oberleitungsinseln ihren Strom aus dem öffentlichen Netz. Sämtlicher Strom, mit dem die Züge „getankt“ werden, kommt zu 100 Prozent aus regenerativen Energien.

Die Spannung beträgt – wie bei allen Oberleitungen im deutschen Bahnverkehr – 15.000 Volt, das 65-fache einer üblichen Steckdose. Über elektromagnetische Strahlung muss man sich trotz der enormen Spannung übrigens keine Sorge machen. Alle Richtwerte der Oberleitung entsprechen den Vorgaben aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz.

Smarter Infrastrukturplan: mitnutzen, verlängern – und ein wenig neu bauen
Im Kieler Hauptbahnhof laufen die meisten Linien der Akku-Teilnetze von nordbahn und erixx zusammen. Dort wurde für die neuen Anforderungen die bestehende Oberleitung an Gleis 2b verlängert und das Gleis 6b ganz neu überspannt. Diese Arbeiten sind abgeschlossen. Ein weiterer Endbahnhof, an dem die bestehende Oberleitung für das ANSH erweitert wurde, ist Bad Oldesloe. Am nördlichsten Punkt des Netzes, dem Bahnhof Flensburg, nutzen die Akku-Züge die bestehende Oberleitung zum Nachladen.

An den Bahnhöfen Husum, Heide und Tönning werden für das Akku-Netz extra neue Ladepunkte in Form von Oberleitungsinseln geschaffen. Die Insel in Heide soll mit leichter Verzögerung Anfang 2024 einsatzbereit sein, Heide und Tönning folgen im Frühjahr.

Zudem laden die Züge der nordbahn auf längeren elektrifizierten Abschnitten unterwegs nach. Bei Rendsburg wird dafür vorhandene Oberleitung genutzt. Ein weiteres rund 5 Kilometer langes neues Stück liegt zwischen Flensburg und der Schleibrücke und wird in 2024 fertiggestellt. Als Letztes soll der Abschnitt zwischen Kiel Hbf und Kiel-Hassee (3,5 km) folgen.

Die zeitliche Planung dieses Baugeschehens ist entscheidend für die Reihenfolge, in der die Akku-Netz-Linien elektromobil werden. Die nordbahn-Linien zwischen Büsum und Neumünster und Neumünster und Bad Oldesloe werden zuerst umgestellt – nach aktuellem Stand frühestens ab Februar 2024. Dann sind Linie für Linie die Strecken im Norden an der Reihe. Bis es so weit ist, bleiben dort die bekannten Dieseltriebzüge im Einsatz.

Verantwortlicher Projektpartner für die Ladeinfrastruktur
Als Infrastrukturunternehmen der Deutschen Bahn AG ist die DB Netz AG für den Bau und die Instandhaltung von über 33.000 Kilometer Schienennetz im deutschen Bahnverkehr gesamtverantwortlich. Hierzu gehören auch die Oberleitungen. Damit ist das Unternehmen für die NAH.SH ein ebenso wichtiger Technologiepartner wie der Fahrzeughersteller Stadler. Hier informiert DB Netz über ihr Teilprojekt.

Störungen durch Baumaßnahmen
Bei solch großen, technologischen Transformationsprojekten lassen sich Eingriffe in den Bahnverkehr nicht vermeiden. Dies haben viele Bahnkunden im Norden schon seit einigen Monaten zu spüren bekommen. Die DB Netz versucht, die Baumaßnahmen zu bündeln, indem sie zum Beispiel in Tönning neben dem Bau der Oberleitung zeitgleich die Verkehrsstation modernisiert und ein elektronisches Stellwerk errichtet. Aktuelle Verzögerungen bei der Inbetriebnahme des Stellwerkes führen hier zu fortgesetztem Ersatzverkehr zwischen Bad St. Peter Ording und Husum und zu Anpassungen im Gesamtzeitplan des Akku-Netzes. Über Fahrplanabweichungen, die auf unsere Fahrgäste in der Einführungsphase zukommen, informieren wir laufend hier auf der Website.

Wissenswertes für Skeptiker
So mancher mag sich bei der Einführung einer echten Weltinnovation Gedanken über die Zuverlässigkeit im Betrieb machen. Erste Praxiserfahrungen im Nachbarnetz bei erixx Holstein zeigen, dass auch wir uns auf eine gewisse Lernkurve einstellen müssen. Doch setzt das Land mit Akku-Zügen nicht auf eine unreife Technologie:

Schon als Ende des 19. Jahrhunderts die ersten E-Züge mit Dauerstromzufuhr in Betrieb gingen, wurde am Konzept eines mit Akku fahrenden Zuges geforscht. Bereits auf der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung 1891 in Frankfurt fuhr auf einem Abschnitt der Frankfurter Waldbahn viermal täglich ein zweiachsiger Akku-Triebwagen im Probebetrieb. Zum Durchbruch von Akkuzügen kam es jedoch im 20. Jahrhundert nie, da diese lange Zeit als unwirtschaftlich galten.

Das Fahrzeugkonzept der modernen „Akku-Flirts“ im ANSH basiert zum großen Teil auf den bewährten FLIRT3-Zügen. Bei der nordbahn ist dieser Fahrzeugtyp auf der Strecke Hamburg – Wrist/Itzehoe seit 2014 im Einsatz. Bereits 2017 hat Stadler gemeinsam mit der TU Berlin und EWE AG ein Forschungsprojekt gestartet, um den jetzigen Akku-Zug zu realisieren.

Fun Fact: Im Dezember 2021 konnte Stadler mit ihrem Akku-Zug-Prototyp einen Weltrekord aufstellen, der im Guinness-Buch der Rekorde steht. Mit einer Fahrt über 224 Kilometer im reinen Batteriebetrieb hat der Akku-Flirt den Rekord für die längste Zugfahrt im Batteriemodus aufgestellt – und das unter schlechten Bedingungen mit Schnee und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt.

Zudem gibt es immer wieder Test- und Schulungsfahrten, schließlich müssen auch unsere Triebfahrzeugführer das neue Fahrzeug vor der ersten offiziellen Fahrt aus dem Effeff kennen.

Wenn ihr mehr über die Akku-Züge und ihre inneren Werte für den Fahrkomfort erfahren möchtet, findet ihr hier einen weiteren Blogartikel.